Infarm

Bietet Landwirtschaft vor Ort

16/07/2018
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Ihr arbeitet ja schon länger an Infarm. Was ist eure Motivation?
Osnat Michaeli: Infarm wurde aus dem Wunsch heraus geboren, unser eigenes Essen anzubauen. Wir wollten gesünder und nachhaltiger leben, ohne das Stadtleben aufzugeben. Das erste hydroponische System, das wir jemals gebaut haben, entstand in unserem Wohnzimmer. Und die Ergebnisse waren toll. Wir hatten einen dieser harten Berliner Winter, vor fünf Jahren glaube ich, und in unserem Wohnzimmer wuchs dieser erstaunliche Wintergarten voller Gemüse. Da haben wir zum ersten Mal verstanden, dass wir mit dieser Technologie einen echten Mehrwert für alle Menschen in der Stadt schaffen können, nicht nur für uns. Danach haben wir viel experimentiert und verschiedene Anbau-Techniken ausprobiert. Unsere nächste Etappe war der Umbau eines alten Wohnwagens in den Berliner Prinzessinnengärten. Das ist eine urbane Gartenanlage, sehr bekannt und sehr aktiv. Dort haben wir unsere Wohnwagen-Farm den ganzen Sommer über geparkt und in zahlreichen Workshops und Debatten die Idee der vertikalen Landwirtschaft in Städten diskutiert: Gemeinsam mit Stadtentwicklern, Architekten, Erfindern, anderen Startups und Feinschmeckern haben wir das Thema von allen Seiten durchleuchtet, um die Probleme wirklich zu verstehen und unsere Lösung auf urbane Lebensräume auszurichten. Unsere Farm hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Beispielsweise kamen täglich Kinder und Jugendliche vorbei, um Salat zu ernten. Die Leute haben es geliebt und wollten mehr darüber wissen. Selbst Experten mit einem eher konservativen landwirtschaftlichen Hintergrund haben uns unterstützt. Deshalb haben wir uns nach diesem Sommer dazu entschieden, infarm zu gründen. Ziel war es, ein System zu entwickeln, das sich als Landwirtschaftseinheit leicht in die Infrastruktur der Stadt integrieren lässt. Die Herausforderung war, einen Ort zu finden, wo Menschen tatsächlich leben und konsumieren. Anstatt unsere Produkte zentral in einem großen Lager zu produzieren, wollten wir unsere Farmen überall in der Stadt verteilen. Dazu mussten die Einheiten klein sein, aber auch effizient genug, um wirklich den Anforderungen von Supermärkten, Restaurants, Schulen oder einem Krankenhaus gerecht zu werden. Im Grunde wollten wir mit Infarm ein Netzwerk von Farmen schaffen, das so nah wie möglich am Endverbraucher produziert.

Wo steht ihr heute?
Osnat Michaeli: Wir arbeiten mit Edeka zusammen und sind mit Infarm inzwischen in 15 Märkten präsent. Außerdem sind wir in zwei Metro-Filialen stationiert und in zwei Restaurants, genau - er dem Zwei-Sterne-Restaurant Tim Raue und Good Bank, die eine riesige Salatbar anbieten. Bis Ende des Jahres werden wir in vier weiteren europäischen Städten vertreten sein und das Geschäft in Deutschland ausbauen.

Seid ihr auf schnelles Wachstum vorbereitet? Wie schnell könnt ihr Anfragen bedienen?

Osnat Michaeli: Das hängt wirklich vom Kunden ab. Mit den Einzelhandelsketten bauen wir ein richtiges Programm auf, das wir gemeinsam ausrollen. Vor allem Edeka ist da sehr stark involviert. Wir sehen sie daher eher als Wachstumspartner denn als Kunden. Anfragen von Restaurants können wir innerhalb weniger Stunden bedienen. Das geht wirklich schnell.

Gibt es Herausforderung im Rahmen des Wachstumsprozesses?
Osnat Michaeli: Ist es schwierig, die richtigen Partner zu finden? Ich denke, die Herausforderung besteht darin, in jedem neuen Markt den richtigen Wachstumspartner zu finden. Parallel versuchen wir konstant, unser Angebot zu optimieren und unser Sortiment zu erweitern, um den Kunden besseren Service und bessere Produkte zu bieten.

Wen siehst du als idealen Partner? Eher Supermärkte, Restaurants oder sogar McDonalds?
Osnat Michaeli: Anfangs haben wir uns auf Einzelhandelsketten konzentriert, weil diese bereits über eine bestehende Infrastruktur verfügen. Aber wir sprechen auch mit Restaurantketten und sind grundsätzlich daran interessiert, mit Infarm überall dort zu sein, wo frische, gesunde Lebensmittel verzehrt werden. Wir können uns vorstellen, mit Schulen zusammenzuarbeiten. Oder mit Kantinen, Coworking Spaces und auch mit Krankenhäusern.

Wie gelingt es euch, Partner wie Schulen oder Krankenhäuser von eurer Idee zu überzeugen? Verstehen sie gleich, was ihr vorhabt?
Osnat Michaeli: Es hat tatsächlich eine ganze Weile gedauert, bis wir Einzelhändlern das richtige Angebot und Geschäftsmodell entwickelt hatten. Es muss ja auch für die Partner funktionieren. Wir bieten Infarm ja als „Farming as a Service“ an, das heißt, wir stimmen uns mit dem Einzelhändler ab und übernehmen die Betreuung der Farm inklusive Installation, Anbau, Ernte und Wartung etc. Unser Angebot ist speziell für Supermärkte sehr attraktiv, denn sie erhalten ein besseres Produkt zum gleichen Preis, gepaart mit zufriedenen Kunden. Unsere Farmeinheit ist Teil der Gemüseabteilung. Die Kräuter werden frisch geerntet, sodass die Nährstoffe und der volle Geschmack erhalten bleiben. Sie sehen toll aus und riechen absolut fantastisch. Die Kunden lieben es.

Könnt ihr das Infarm Geschäftsmodell etwas genauer beschreiben?
Osnat Michaeli: „Landwirtschaft als Dienstleistung“ bedeutet, dass wir unseren Kunden Farmeinheiten zur Verfügung stellen, die sie direkt an ihren Standorten aufstellen können. Für den Endverbraucher kosten unsere Kräuter 1,29 Euro, also nicht mehr, als sie für geschnittene Kräuter in einer Plastikhülle bezahlen. Unsere Mission ist Premium-Qualität, die keine Premium-Preise kostet.

Beschäftigt ihr euch mit größeren Fragen wie der Ernährung der Welt in 20 Jahren, dem Problem der langen Lieferwege oder dem Welthunger?
Osnat Michaeli: Das sind alles brennende Fragen. Wie wird man im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen ernähren können? Wir glauben, dass die Dezentralisierung der Landwirtschaft und der Einsatz von Technologie beim Vertical Farming zur Lösung des Problems beitragen können. Unsere Vision ist es, Städten dabei zu helfen, in ihrer Nahrungsmittelproduktion autark zu werden. Wir wissen, dass die Lieferwege unglaublich lang sind und dabei enorme Mengen an Energie und Lebensmitteln verschwendet werden. Dazu sind Lebensmittel mit vielen Chemikalien kontaminiert, um diese lange Lieferkette zu überleben. Deshalb versuchen wir wirklich, eine neue Lösung für die Lebensmittelproduktion und -versorgung anzubieten.

Ihr habt einige große Investoren an Bord, vorwiegend Tech-Investoren. Dabei sind eure Gründer doch Biologen. Seht ihr eure Firma als Tech-Firma?
Osnat Michaeli: Infarm ist sehr technologiegetrieben. Im Wesentlichen basiert unser Geschäft auf Hardware, Software und Pflanzenwissenschaften. Jede unserer Farm-Einheiten ist ein geschlossenes Ökosystem, das an verschiedenste Umweltbedingungen angepasst werden kann. Viele der Steuerungsprozesse sind automatisiert und garantieren dank hochentwickelter Sensoren ein optimales Pflanzenwachstum. Parameter wie Temperatur, Feuchtigkeit und Wasserzusammensetzung, pH-Wert, CO2, Sauerstoff und anderes können wir daher in Echtzeit überprüfen.

Die meisten Investoren zielen auf schnelles Wachstum und einen erfolgreichen Exit. Wie schätzt du euer Potenzial ein?
Osnat Michaeli: Wir haben keinen Exit-Plan. Vielmehr hatten wir das große Glück, Investoren zu finden, die geduldig sind und mit uns ein Unternehmen aufbauen wollen, das in Zukunft einen großen Einfluss auf die globale Nahrungsmittelproduktion haben kann.

Aber wo und wie siehst du euch in fünf oder zehn Jahren?
Osnat Michaeli: In zehn Jahren werden wir auf allen fünf Kontinenten sein und praktisch jedes Gemüse, jede Obstsorte und jeden Pilz produzieren. Vielleicht arbeiten wir auch mit anderen Food-Innovatoren wie In-vitro oder den Herstellern von alternativen Fleischprodukten wie Impossible Food zusammen. Die Mission eint uns ja, denn wir wollen mehr und bessere Nahrung produzieren, ohne dabei die Erde und unsere Mitmenschen auszubeuten.

Zuerst erschienen in Berlin Valley 29.

INFARM - INDOOR URBAN FARMING GMBH

Branche: Vertical Farming
Beschreibung: Infarm arbeitet an der Dezentral- isierung der Landwirtschaft auf Basis von Farming as a Service.
Gründer: Guy und Erez Galonska, Osnat Michaeli
Gründungsjahr: 2013
Mitarbeiter: 150
Investoren: Balderton, LocalGlobe, Cherry Ventures, Atlantic Food Labs…
Investitionshöhe: 35 Millionen US-Dollar
infarm.com

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