Fashiontech:

Look der Zukunft

17/12/2018
header image

Leuchtend und blinkend schreitet Doro Bär durch die Hallen. Für ihre Ansprache zur Verleihung des Deutschen Computerspielpreises trägt die Digitalministerin ein Instagram-Kleid, das mit jedem Post seine Farbe wechselt, Hashtags mit eingeschlossen. Designt wurde das Fashiontech Kleid von The Powerhouse, einem Berliner Startup, das die Mode der Zukunft in einem Showroom im zweiten Stock des Bikini Berlin einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Da gibt es Stoffe, die den Puls des Trägers messen können, Schmuck, der dank integrierter GPS-Funktion nicht verloren gehen kann. Fashiontech geht schon längst über die Farbspielereien hinaus, die Künstler und Musiker wie Katy Perry, Cirque du Soleil, Lady Gaga, U2 oder auch die Choreografen des Super Bowl nutzen, um ihre Bühnenshow zu dramatisieren.

Designer, die sich mit Zukunftsthemen, 3D-Print und neuen Materialien auseinandersetzen, bringen futuristische und neue Ideen auf die Laufstege. Der Look ist zweitrangig Bei der Kombination von Textil und Tech geht es aber um weit mehr als den Look. Die Integration von Sensoren in Stoffe wird künftig fast alle unsere Lebensbereiche verändern – von Smart Home über Mobility oder Fitness bis hin zu Industrie 4.0.

Allein in Industrie 4.0 will die deutsche Wirtschaft laut einer Pwc-Studie bis 2020 jährlich 40 Milliarden Euro investieren. Davon profitiert etwa Proglove. Das Münchner Startup entwickelt smarte Arbeitshandschuhe, die dem Träger in der Fertigung oder Logistik ermöglichen, schneller, sicherer und einfacher zu arbeiten. Der Anwender erhält sofort ein Feedback.

Integrierte EMS macht Antelope Suite zum Sportgerät. Foto: Antelope

Fashiontech-Sportbekleidung kommt zum Beispiel von den US-Firmen Electrofoxi und Wearable X. Mittels integrierter Sensortechnik unterstützen die Yoga- und Jogginghosen den Träger dabei, die Gelenke beim Laufen nicht überzustrapazieren oder sich beim Yoga richtig auszurichten. Das Navigate Jacket von Wearable X führt den Träger durch integrierte LED-Beleuchtung und haptisches Feedback zum Ziel.

Google und Levis sind mit einem ähnlichen Projekt, dem Jacquard Computer Trucker Jacket bereits auf dem Markt. Auf der Berliner Fashionweek präsentierten unter anderem das Design Research Lab der Berliner Universität der Künste oder die neurobiopsychologische Arbeitsgruppe der Universität Osnabrück spannende Navigationsprojekte, wobei in Gürtel, Sweatshirts oder Schuhe integrierte Lichtsignale und Vibrationen den Weg weisen – und quasi als künstliche Sinnesorgane vernetzt über Bluetooth die Informationen aus verschiedenen Apps nutzen. Das ist nicht nur praktisch, sondern auch ein Beitrag zu Barrierefreiheit und nahtloser Inklusion.

Fashiontech als Sportgerät

Hier sowie im Gesundheits- und Pflegebereich sehen Christine Kallmayer und Malte von Krshiwoblozki vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) auch die größten Chancen für den Fashiontech-Bereich. Denn wird ein Bekleidungsstück gleichzeitig zum Sportgerät, ist der immer noch sehr hohe Preis für Bekleidung mit Tech-Funktionen gerechtfertigt.

Dehnbare Leiterplatten zur flexiblen Integration in Textilien zum Monitoring von Vitaldaten. Foto: Fraunhofer IZM/Volker Mai

Ein Beispiel ist der Antelope-Suite von Philip Schwarz, der durch integrierte Elektro-Muskel-Stimulation den Besuch des EMS-Studios überflüssig macht. Im Pflegebereich könnten auch bettlägerige Menschen von EMS profitieren. Pilotprojekte gibt es bereits.

„Sensoren können nicht in den Schleudergang“
Christine Kallmayer, Fraunhofer IZM 

Problematisch ist jedoch die Finanzierung der Entwicklung hin zu einem Produkt für den Massenmarkt. Denn auf dem Weg dorthin müssen noch zahlreiche Herausforderungen gelöst werden, allen voran die Energieversorgung der smarten Textilien sowie die Integration von harter Elektronik in weiche Stoffe. Zwar sind die Schränke im Fraunhofer IZM voll von leitfähigen Fäden, dehnbaren Leiterplatten und biegsamen Sensorenbändern.

Allerdings: „Kleinelektronik und fusselige, staubige Fasern sollten sich einfach nicht zu nahe kommen“, sagt Christine Kallmayer. „Genauso wenig können Sensoren in den Schleudergang.“ Selbst das von den finanzstarken Marken-Giganten Google und Levis auf den Markt gebrachte Jacquard Jacket darf nur zehn Mal gewaschen werden – und wird wegen seiner geringen Funktionalität in der Fashiontech-Szene scharf kritisiert. Denn möglich wäre schon so viel mehr.

Iris van Herpen. Foto: Paris Fashion Week
Lina Wassong. Foto: Ana Catala/Elektrocouture

Die Hoffnung in Deutschland liegt auf fachübergreifender Kollaboration, teils unterstützt aus staatlichen sowie europaweiten Fördertöpfen. Forschungsinstitute, Universitäten, Modedesigner, Künstler, App-Entwickler, Startups und auch einige große Unternehmen sind involviert, darunter Telefónica oder die Deutsche Telekom mit Fashion Fusion. Daneben gibt es Menschen wie Thomas Gnahm, der beim alljährlichen Wear-it-Festival alle Beteiligten zum interdisziplinären Austausch zusammenbringt – und so neue Projekte auf den Weg bringt.

Iris van Herpen

Iris van Herpen gilt als einer der innovativsten Köpfe der Branche. Unter anderem ist die niederländische Designerin für ihre Bühnenkostüme für Lady Gaga oder Björk bekannt. Bereits 2011 experimentierte sie mit 3D-Druck. Mit ihrer aktuellen Haute-Couture-Kollektion Syntopia erforscht sie die Beziehung zwischen Organischem und Anorganischem, die Verbindung von Biologie und Technologie. irisvanherpen.com

Lina Wassong

Mit ihren intelligenten und interaktiven Designs möchte Lina Wassong „Technologie emotionaler und ansprechender gestalten“. „Technologie ist ästhetisch und Mode eine großartige Schnittstelle, um diese Schönheit zu präsentieren“, sagt die in Berlin beheimatete Designerin. Dabei möchte sie Möglichkeiten aufzeigen, wie wir in Zukunft nahtlos mit Gadgets und Elektronik kommunizieren können. In der Produktion experimentiert sie mit 3D-Druck und Laserschnitten. linawassong.com

Ying Gao. Fotos: Dominique Lafond
Soundable Fashion. Foto: Ylenia Gortana

Ylenia Gortana

Mit Soundable Fashion (rechtes Bild) hat Ylenia Gortana eine Jacke konzipiert, die als Music Controller funktioniert. Sie besteht aus einer Matrix von quadratischen textilen Sensoren, die durch Drücken ihren elektrischen Widerstand verändern und somit ein analoges stufenloses Signal aussenden können. Die analogen Signale werden in Midi-Signale umgewandelt, die wiederum von einem Musikprogramm gelesen werden. Den Sensoren lassen sich beliebige vorgefertigte Loops, einzelne Tönen, Effekte oder Filter zuteilen. yleniagortana.com Foto: Ylenia Gortana

Ying Gao

Ying Gao stellt mit ihren Projekten immer wieder infrage, was Kleidung eigentlich bedeutet. In ihren Designs untersucht die Kanadierin die Konstruktion des Kleidungsstücks in Bezug auf die Transformation des Individuums in Reaktion auf die äußeren Einflüsse. Dabei überrascht ihr Einsatz von Sensoren und Technologie nicht nur mit Interaktivität, sondern auch mit einem Hauch von Poesie. yinggao.ca