Creative Code: Für Synergieeffekte zwischen Kunst und Wirtschaft

28/08/2019
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Wenn ein DJ seine Plattensammlung verkauft, muss er dafür schon einen ganz besonderen Grund haben. Und auch wenn die Kausalität während des Gesprächs eher symbolisch auftaucht, wird eines klar: Mit seinem neuen Job als CIO der Factory Berlin transformiert sich der Gründer der Riverside Studios, Martin Eyerer, für die Herausforderungen der digitalen Welt. Mit dem Creative Code will er nun ein neues Forum zum Austausch zwischen Kreativ-Szene und Tech-Welten in der Factory Berlin schaffen.

Wer Martin Eyerer noch nicht kennen sollte, der hört entweder wenig oder eben einfach andere Musik. Die von Martin Eyerer wurde auf Labels wie Rejected, Renaissance, My Favorit Robot, oder auch dem eigenen Label Kling Klong veröffentlicht. 200 Einspielungen, ungezählte Auftritte und Tourneen in den vergangenen 30 Jahren sowie die Mit-Gründung der Riversidestudios Berlin, einem 2000 Quadratmeter großem Kreativkomplex mit 27 Studios für Musiker und Produzenten an der Berliner Spree, zeichnen die bisherige Karriere des Ex-Stuttgarters aus.

Und dann verkaufte er seinen Vinyl-Schatz. Rund 12.000 Scheiben um genau zu sein. „Es geht mir ja um die Musik“, meint er. Und die habe er bis auf wenige Ausnahmen auf Spotify viel einfacher gefunden. Ein Kompliment an die schwedischen Digitalisierer der Musik-Branche. Und auch ein gutes Beispiel dafür, wie uns digitale Dienste dabei helfen mehr Ordnung und Effizienz in unser Leben zu bringen. Denn bei 12000 Platten hatte selbst ein erfahrener DJ wie Eyerer, Probleme damit, immer die richtige zu finden. Sagt er.

Foto: Factory Berlin
Zwischen Virtuellen Realitäten und traditionellen Buchrücken: VR-Experiment (l.) und Martin Eyerer, CIO von Creative Code, in der Bibliothek der Factory Berlin. Foto: Factory Berlin

Wie Ideen entstehen

Wie entsteht nun aber zum Beispiel so eine Idee, Musik nicht mehr auf schwarzem Vinyl sondern in der unsichtbaren Cloud zu speichern? Ist es Zeitgeist? Ist es Zufall? Tatsächlich gibt es viele tolle Geschichten über den Geburtsmoment der nächsten großen Erfindung. Allerdings existieren diese Geschichten nur, wenn die Idee auch tatsächlich erfolgreich wurde. Und die Zeit und Arbeit, die zusätzlich dahintersteckt, wird maximal kurz zusammengefasst.

Das könnte sich mit der Gründung des Creative Code ändern. Denn hier geht es genau darum, die Bedingungen dafür zu erarbeiten, die benötigt werden, um Ideen zu inspirieren. Wie genau dieser Prozess aussehen wird, ist noch unklar. Sicher ist nur: Experimente und Fehler sind erlaubt. Und Kreativität wird eine wichtige Rolle spielen.

Eyerer schwärmt davon, dass die Absolventen der ebenfalls in der Factory Berlin beheimateten Code University mit einem Bachelor oder Master of Arts abschließen. Denn auch Programmieren ist eine Kunst. Im Foyer steht ein Piano. Ein Student mit Kopfhörern experimentiert. Irgendwie haben sich Kunst und Kreativität doch schon eingeschlichen in vielen Ecken und Köpfen der Factory Berlin. Nur so einen richtig eigenen Platz hatte die bildenden Künste auf dem so genannten Startups-Campus am Görlitzer Park bisher nicht.

Vorrangige Mission ist es ja, den Austausch innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Dazu wird ein ausgewogener Mix an Unternehmen aus dem Corporate- sowie auch dem Startup-Bereich kuratiert. Alle müssen sich um eine Mitgliedschaft bewerben. Große Unternehmen wie Audi,Siemens, Google for Entrepeneurs oder McKinsey Digital fördern das Ökosystem als aktive Partner und auch finanziell vor Ort.

Der Beitrag für regulären Mitglieder, die sogenannten Natives, liegt bei 120 Euro im Monat. Dafür erhält man freien Zugang zu flexiblen Arbeitsplätzen, Community-Bereichen, Gemeinschaftsküchen, Meeting-Räumen, Workshops, Events und vor allem einem stets wachsenden und kuratiertem Netzwerk. Aktuell sind das vor allem solche Menschen, die sich für technische Innovationen und Digitalisierung begeistern.

Mit dem Creative Code wird nun auch die Kunst- und Kreativsszene mit in die Community eingeladen. Die Factory Berlin will mitgestalten – und zwar weitaus mehr als nur die Szene rund um den eigenen Startup-Hub. „In einer Zeit, in der sich nicht nur Tech- und Startup-Szene mit digitalem Wandel beschäftigen, sondern alle Bereiche unseres Lebens von neuen Entwicklungen disruptiert werden, muss Transformation größer gedacht werden – und kreativer”, sagt der neue CIO.. „Warum also nicht auch von Kreativen selbst? Von Musikern, Malern, Schrifstellern, Gamern, Filmemachern, visuellen Künstlern?“

Neue Welten eröffnen: Das Experimentierlabor von Creative Code. Foto: Factory Berlin
Neue Welten eröffnen: Das Experimentierlabor von Creative Code. Foto: Factory Berlin

Lösungsansätze statt Musik produzieren

Die Herausforderungen sind riesig – auf wirtschaftlicher, wie auch auf sozialer und ökologischer Ebene. Darüber kann man mit dem neue Factory-CIO und dreifachen Vater stundenlang diskutieren. Dem Co-Gründer der Factory Berlin,Udo Schloemer, ging es da nicht anders. Schnell wurde den beiden klar, dass nur reden einfach nicht reicht. Kurzerhand beschlossen sie, dass Eyerer nun die Verantwortung auf sich nehmen soll, statt Musik nun zusätzlich auch Lösungsansätze zu produzieren.

Dazu holte sich der ehemalige DJ erstmal ein Mischpult ins neu gebaute Creators Lab. Hier arbeiten in Zukunft zwischen Malern, Musikern und allen möglichen Künstlern auch Community Mitglieder an Tech-Projekten. Außerdem gibt es eine Küche. Das war Eyerer wichtig: „Hier kann man sich sich bei der Zubereitung kreativer Gerichte erstmal kennenzulernen.”

Ein schwarzer Sportmatten-Boden im vorderen Teil der Halle, lädt zum körperlichen Ausgleich nach der geistigen Verausgabung. Ansonsten ist die Halle im Erdgeschoss des Factory-Gebäudes an der Görlitzer Straße, in der bis vor kurzem E-Bikes produziert wurden, selbst noch in der Transformation. Im Grunde ein perfekter Hintergrund für Kunst und Ideen.

Gemeinsam mit Sonar+D aus Barcelona  wird Mitte September bereits die Entscheidung für die ersten Artists in Residence fallen. Ein spannendes Konzept, auch deshalb, weil damit das Spannungsfeld der Gentrification von urbanen Räumen auf den Kopf gestellt wird. Egal ob in Brooklyn, Berlin oder in anderen Großstädten, bisher war die Entwicklung immer die gleiche: Künstler und Musiker erschlossen die vergessenen Randbereiche, in denen dank niedriger Mieten noch Raum war für kreative Lebenskonzepte. Dann kam der Hype und die Geschäftswelt zog nach.

Community, Kreativität und Innovation

Der Creative Code soll anders funktionieren. Hier soll es – zumindest vorrangig – nicht ums Geschäfte machen gehen, sondern um Austausch, Community, Kreativität und Innovation. „Es ist wichtig, auch Spaß in dem zu finden, was man macht“, erklärt Martin Eyerer. „Gerade in unserer Zeit ist es essentiell diesen Kulturwandel nicht nur zu erkennen, sondern zu leben. Wir in der Factory Berlin können der Industrie dabei helfen, die Talente der nächsten Generation zu erreichen und zu verstehen. Dies wird in Zukunft nur durch Schaffung solcher diverser  Arbeitswelten möglich.

Innovation und Fortschritt entsteht immer mehr auch durch interdisziplinären Austausch und nicht mehr ausschließlich durch Forschung und Entwicklung. Durch die stärker werdende Dominanz der Maschinen, die dieses Feld besetzen, rückt das kreative Momentum immer mehr in den Fokus wie es zu Zeiten eines Leonardo da Vinci schon einmal war.

Das Konzept von Creative Code wird aufgehen, wenn beim kollaborativen Ausprobieren tatsächlich neue Prozesse entstehen. Wenn Arbeitsmodelle entwickelt werden, die wegführen vom Hamsterrad des Kapitalismus – und hin zu einer diversen Community, die in ihrem Tun gemeinsam von den gleichen Werten und Zielen motiviert wird. Gleichzeitig müssen aber große Unternehmen den Wert der Inspirationen aus den Labs und Workshops des Creative Code für sich erkennen – und auch bezahlen.

Die Aufgabe des neuen CIOs ist es nun, sich im Spannungsfeld von monetären Umsatzzielen und idealistischen Bestrebungen zum perfekten Mix inspirieren zu lassen. Und wenn der Funke nicht gleich überspringt? Keine Sorge: Ein paar Hundert Lieblings-Scheiben seiner Plattensammlung hat sich Eyerer dann doch aufgehoben.