Wie Unternehmen mit Bioprinting Körperteile erstellen
Aus dem Drucker kommen menschliche Knochen, Muskeln und Organe. Sie sehen aus wie echt, sie fühlen sich echt an. Mitten in einem historischen Backsteinbau vor den Toren Berlins findet gerade die Zukunft statt. Das Startup Medizinische Modellbau Manufaktur, kurz MMM, stellt lebensechte Kopien von Organen her – mit einem 3D-Drucker. Neulich haben sie hier das Herz einer 86-jährigen Frau nachgedruckt. Die Patientin konnte kaum atmen oder laufen, weil ihre Herzklappe sich verengt hatte. Die Ärzte planten eine Aortenklappenprothese – eine heikle Operation in diesem Alter. Also ließen sie das Herz der Frau originalgetreu nachdrucken und übten daran in einer Probeoperation präzise jeden Handgriff. Anhand des Herzens aus dem Drucker konnten sie auch die exakt passende Prothese für die alte Dame anfertigen. Das ist eine Revolution der Medizintechnik – und Marcel Pfützner ist mittendrin.
Pfützner hat das Startup MMM 2014 zusammen mit seiner Frau gegründet. „In fünf Jahren werden 3D-Drucker in allen großen Unternehmen und Krankenhäusern stehen“, sagt er im Magazin der Deutschen Bank. Wenn es nach ihm geht, soll die modellgestützte Operationsplanung schon 2020 aus keiner Klinik mehr wegzudenken sein. Mit seiner Marke HumanX hat er sich vorwiegend auf Ärzte spezialisiert, die anhand der 3D-Modelle ihre Eingriffe planen und individualisieren. Von der Übermittlung der Patientendaten bis zum fertigen Modell dauert es rund 72 Stunden. Auch Jungmediziner können anhand der lebensechten Organe geschult werden.
Das Alter mit Bioprinting besiegen
Die Pfützners haben dafür im vergangenen Jahr den Businessplan-Wettbewerb der Berliner Sparkasse gewonnen und den Bundeswettbewerb „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“. Die Finanzierung stellten sie zusammen mit der Deutschen Bank auf die Beine und nutzten dafür auch öffentliche Mittel wie den Gründerkredit „Startgeld“ der Förderbank KfW. Nun gehören schon Kliniken in ganz Deutschland zu den Kunden. Trotzdem ist Pfützner viel unterwegs, um sein Angebot bei Chefärzten und Ausbildern vorzustellen. „Es ist eine immense Arbeit, Interesse an einem Produkt zu wecken, dass es bis dato nicht gegeben hat“, sagt er der Plattform Medizintechnologie.de.
Ärzte und Forscher träumen von einer wahren Revolution der Medizin: lebensfähiges Gewebe aus dem Drucker. Allein in Deutschland warten 10.000 Menschen auf eine Organtransplantation. 3D-Drucker könnten das Problem beheben. Das Anwendungsfeld ist riesig. Chirurgen könnten Patienten nach schweren Unfällen das Gesicht rekonstruieren, verletzte Beine würden nachgedruckt, verschlissene Knie mit neuen Knorpeln versehen. Sogar das Alter ließe sich besiegen – indem altes Gewebe einfach ersetzt wird. Noch steckt das sogenannte Bioprinting in den Kinderschuhen, aber es ist schon Erstaunliches möglich.
Forscher der Universität Princeton haben ein Ohr gedruckt, das Frequenzen wahrnimmt, die normalerweise unhörbar sind. Das US-amerikanische Unternehmen Organovo wiederum druckt Gewebe für die medizinische Forschung, um Tierversuche überflüssig zu machen. Auch eine Mini-Niere kam schon aus dem Drucker. Sie überlebte fünf Tage außerhalb des Labors. An der Harvard University ist es gelungen, Gewebe zu drucken, das sechs Wochen überlebte. Möglich war das durch eine spezielle Biotinte bestehend aus Enzymen, Gelatine, Zellen und Wachstumsfaktoren.
Kein Metall mehr im Körper
Noch ist eine Anwendung am Menschen nicht möglich, aber überall auf der Welt entwickeln Forscher und Unternehmen Produkte, die im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckend sind. Auch in Deutschland, wie die Beispiele aus Berlin, Karlsruhe und Dresden zeigen.
In Karlsruhe gibt es seit zwei Jahren das Startup Indmatec. Sein Mitgründer Tony Tran-Mai sagt: „Auch wenn es sehr viel Zuspruch von allen Seiten gibt, gehen viele doch vorsichtig an diese recht neue Technologie heran.“ Das Unternehmen hat den thermoplastischen Kunststoff Peek entwickelt, der mittels Schmelzschichtung, der sogenannten FFF-Technologie, gedruckt werden kann. Peek soll eine Alternative zu Metall sein, leicht wie Aluminium, aber sehr belastbar: geeignet unter anderem als Zahnersatz oder als Werkstoff in der Chirurgie. Denn viele Patienten, die etwa Titan in den Körper geschraubt bekommen, damit schwere Brüche heilen, reagieren allergisch auf das Metall.
„Wir sind das erste Unternehmen weltweit, das Peek mit der FFF-Technologie professionell verarbeiten kann“, sagt Tran-Mai. Sein Ziel sei es, das Verfahren in der Medizin für Implantate oder Prothesen zu etablieren. Das Startup finanziert sich derzeit durch den Verkauf der speziellen Kunststofffasern und zugehöriger Drucker. Es bietet aber auch Beratungen und Trainings an. „Bereits im ersten operativen Geschäftsjahr konnten wir einen sechsstelligen Umsatz erzielen“, sagt Tran-Mai. Zurzeit werde mit potenziellen Investoren verhandelt.
„IN FÜNF JAHREN STEHEN 3D-DRUCKER IN ALLEN GROSSEN FIRMEN“
Kürzlich wurde Indmatec als bestes Startup Baden-Württembergs ausgezeichnet. Bei der Veranstaltung des Netzwerks für Beteiligungskapital VC-BW dürfte eine hübsche Summe zusammengekommen sein: Mindestens 300.000 Euro und bis zu drei Millionen Euro konnten die Teilnehmer einwerben. Die genauen Deals wurden diskret verhandelt.
Gefühlsechte Skeletthand
Das Dresdner Startup Stamos + Braun Prothesenwerk hat sich bewusst gegen Investoren entschieden, um unabhängig zu sein. Das Unternehmen finanziert sich aus dem Cashflow, den es durch seine Kunden aus aller Welt generiert. Die lebensechten Prothesen sind international gefragt – die Kunden kommen aus Saudi-Arabien, Katar, Kuwait. Kurz nach der Gründung im Jahr 2014 haben Stamos + Braun den Fokus auf den 3D-Druck gelegt und kooperierten dafür mit der Technischen Universität Dresden.
Als weltweit erstem Unternehmen ist es ihnen gelungen, medizinische Silikone zu drucken. „Die Prothesen aus dem 3D-Drucker wiegen bis zu 50 Prozent weniger. Für einen Prothesenträger sind das Welten“, sagt Mitgründer Alex Stamos. Künstliche Füße, Finger oder Hände werden mitsamt integrierten Knochenstrukturen gedruckt. „Durch die Knochen fühlt es sich extrem echt an, wenn man die Hand gibt“, sagt Stamos.
Derzeit laufen Testdrucke, Patienten tragen die ersten komplett gedruckten Vorfußprothesen Probe. Ende des Jahres wollen Stamos + Braun einen eigenen Silikon-3D-Drucker auf den Markt bringen. „Wir wollen zeigen, dass nicht nur die Big Player in dem Bereich mitmischen können, sondern auch kleine innovative Betriebe“, sagt Stamos. Das israelische Verteidigungsministerium habe bereits Interesse angemeldet.