Neufund-Gründerin Zoe Adamovicz:

„Unternehmertum ist ein Menschenrecht"

12/06/2018
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Zoe, du hast ja schon vor Neufund einige Startups mitbegründet, kannst du uns einen Überblick geben?

Zoe Adamovicz: Seit über 15 Jahren bin ich mittlerweile in der Berliner Tech-Startup-Szene aktiv. Mein Einstieg damals war eine Zusammenarbeit mit den Samwer-Brüdern bei Jamba! Bald danach habe ich Xyo und Priori Data hier in Berlin gegründet. Alles in allem habe ich ungefähr sieben Firmen mitbegründet. Es waren alles spannende Projekte, welche ich zusammen mit meinen Mitgründern aufbauen durfte. Manche Firmen gibt es noch, manche nicht, andere wurden verkauft.

Nach dem Verkauf der App-Suchmaschine Xyo solltest du 2014 für den Käufer Mandalay Digital Europa-Chefin werden. Ein Teil des Teams wechselte damals mit dir. Wie ging es weiter?

Zoe Adamovicz: Es war eine spannende Zeit, allerdings haben mein Mitgründer und ich schnell gemerkt, dass wir nicht für einen US-Konzern arbeiten wollten. Stattdessen sind wir auf Weltreise gegangen, um herauszufinden, in welche Richtung sich die Tech-Szene entwickelt hat. Wir haben 20 Jahre Erfahrung als Gründer und Unternehmer und mehrere Finanzierungsrunden hinter uns. Deswegen hat uns das Konzept des Fundraisings auf der Blockchain als eine alternative Finanzierungsmöglichkeit fasziniert. Wir haben schnell realisiert, dass das Konzept an sich die Wehen der Gründer mindern kann. Wir wissen alle, wie aufwendig VC-basierte Finanzierungsrunden sind. Startups verbringen sechs Monate, um eine Finanzierungsrunde abzuschließen, nur um gleich wieder die nächste anzufangen. Blockchain-basiertes Fundraising, oft in Form von ICOs, hat dieses Problem offenbar gelöst. Bei einem ICO muss man keine aufwendigen Roadshows planen, die Technologie (Smart Contracts) übernimmt die Koordination der Investoren und eliminiert auch unnötige Bürokratie und Kosten. Die Ausstellung neuer Firmenanteile wird über die Blockchain effektiver und sicher geregelt. Dabei sind die Ticketgrößen nicht limitiert: Von einem Euro bis zu Millionen-Summen ist alles möglich. Insgesamt sind Kapitalpool und Investorenpool viel größer, weil über einen ICO ein viel breiteres Publikum erreicht werden kann. Die Eintrittsschwelle für Investoren ist viel niedriger. Dadurch sprechen solche Investitionsrunden nicht nur große VCs an, sondern zum Beispiel auch Studenten. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, sowohl auf der Investorenseite als auch für die Startups. So gesehen sind die Vorteile eines ICOs offensichtlich.

Welche spielen für dich die größte Rolle? Und was sind die Hauptunterschiede zu einem IPO?

Zoe Adamovicz:In meinen Augen sind ein Börsengang und ein ICO vom Prinzip her dasselbe. Allerdings: Hat es jemals einen deutschen DAX-Investor gegeben, der in ein Tech-Startup investiert hat? Traditionelle Investoren sind von der DNA her anders gepolt. Sie wollen solide finanzielle Ergebnisse und interessieren sich vor allem für die finanzielle Vergangenheit des Startups. Bei Startups existiert diese oftmals noch gar nicht. Beim Blockchain-basierten Fundraising ist das nebensächlich. Hier geht es um das Thema, um das Potenzial, um die Innovation und Kreativität. Die wahre Macht des dezentralisierten Fundraisings liegt darin, dass man, anstatt von Investor zu Investor mit einem Pitch-Deck zu rennen, mithilfe eines Token-Verkaufs eine Community bilden kann, die das Projekt finanziell unterstützt. Dazu kommt noch, dass eine Krypto-Community genau die richtige Gruppe an Investoren ist, es sind alles Early Adopter, mit Interesse an innovativen Ideen. Es sind Investoren, die den Code verstehen – und die Welt verändern wollen. Ich glaube, wir haben jetzt die Chance, eine neue Kultur zu etablieren, bei welcher jeder morgens aufwacht und einfach anfangen kann zu kreieren. So entsteht Innovation. Ideen werden umgesetzt, die kein VC finanzieren würde, weil sie eben zunächst nur Ideen sind und nur möglicherweise erfolgreich sein werden. Aber sind sie deshalb nicht innovativ? Wir glauben, dass Kreativität ein Recht ist und jeder sollte die Möglichkeit haben, etwas aufbauen und erschaffen zu dürfen, unabhängig von finanziellem Status, Herkunft und Geschlecht. Mit anderen Worten: Wir glauben an Unternehmertum – als einen Wert und ein inhärentes Menschenrecht.

Peter Grosskopf, CTO Solarisbank, über Zoe Adamovicz

Was ich so faszinierend an Zoe finde, ist, dass sie durch und durch eine Unternehmerperson ist. Ich habe Zoe über die Krypto-Szene kennengelernt und sehr schnell festgestellt, dass wir viele gemeinsame Freunde haben. Sie ist eine Persönlichkeit, die Innovationen geradezu anzieht. Und das seit Jahren. Viele der Unternehmer, die im Krypto- und Blockchain-Bereich gründen, sind noch sehr jung. Sie verstehen die Technologie, haben aber nicht viel Erfahrung, wie man Unternehmen aufbaut. Neufund ist ein innovatives Projekt und hat ein Team mit Zoe an der Spitze, das die Idee auf die Straße bringen kann. Ich bin sehr gespannt, wo sie am Jahresende stehen werden.

Auf der anderen Seite müssen Menschen vor Risiko-Investments gewarnt und vor Betrügern geschützt werden. Wie schätzt du dies ein? Und wie beeinflussen die Betrugsfälle die Szene?

Zoe Adamovicz: Wenn es ums Geld geht, gibt es Betrug, das war schon immer so. Von konservativer Seite aus fällt der Vorwurf auf die fehlende Regulation bei ICOs. Und ja, wenn es um nicht akkreditierte Investoren geht, dann kommen wir auf legal schwammigen Boden. Tatsächlich gibt es noch keine feste Regelung, denn niemand weiß genau, ob das Thema in bestehende Gesetze passt oder ob Tokens ein völlig neues Regelwerk erfordern. Generell ist natürlich nichts verkehrt an Regulierungen, denn die Intention ist ja, Investoren vor Betrug zu schützen. Gleichzeitig bremst es Innovatoren aus. Denn die geforderte Transparenz ist schwer herzustellen, wenn es um Themen und Gebilde geht, für die es noch keine richtige Definition gibt. Bitcoin etwa ist Geld, das von niemandem ausgestellt wird. Es gibt also keine verantwortliche Person. Und das macht es kompliziert.

Wie siehst du die Situation in Deutschland?

Zoe Adamovicz: So wie ich die Entwicklung beobachte, agiert Deutschland hier sehr vernünftig. Es werden viele gute Dialoge geführt – auch innerhalb der Behörden und auf politischer Ebene. Man ist offen für Neues, will aber auch nichts überstürzen und die Bürger schützen. So gesehen handelt Deutschland sehr vorbildlich und es gibt viele gute Gründe, in Deutschland zu bleiben. Die Community ist sehr stark, viele Firmen ziehen hierher, vor allem nach Berlin. Auf der einen Seite gibt es in Berlin für Unternehmen eine sehr solide wirtschaftliche und politisch vertrauenswürdige Basis, andererseits ist die Stadt sehr liberal. Und das kann man nicht von vielen Ökosystemen behaupten. Berlin als Stadt teilt die Mentalität der Blockchain Community: Demokratie, Dezentralisierung und Transparenz.

„Wir sind nicht mehr nur Teil der Community, sondern Teilhaber“

Um der Regulierungs-Problematik zu entgehen, wird auf Utility-Tokens gesetzt, da diese keinen geldwerten Gegenwert haben – und damit aus der Regulierung herausfallen?

Zoe Adamovicz: Das Konzept von Utility-Tokens ist leider sehr verwirrend. Sie werden gerne als eine Art Coupon ausgegeben, ähnlich wie ein Ticket, mit dem du Tram fahren kannst. Aber jetzt stell dir vor, dass Berlin zehn Millionen solcher Tickets für zukünftige Fahrten ausstellt, weil es mit den Einnahmen daraus das Verkehrsnetz ausbauen will. Du hast so ein Ticket und willst es jetzt für einen höheren Wert verkaufen. Warum sollte jemand auf diesen Handel eingehen? Weil es eine limitierte Anzahl an Tickets gibt? Das macht keinen Sinn. Das Problem ist, dass der Begriff Utility Token nur erschaffen wurde, um die Regulatoren davon zu überzeugen, dass diese Tokens keinen Anteil an dem Unternehmen repräsentieren, sondern nur ein Ticket, ein Coupon sind. Aber in dem Moment, in dem du Fundraising mit diesen Tokens betreibst, sind es nicht mehr nur Tickets. Denn du willst ja damit handeln, sie also für mehr verkaufen, als du sie gekauft hast. Das Ticket ist für den Nutzer bestimmt, der Token, mit dem gehandelt wird, für den Investor. Der Gründer von Ethereum sagt zu Recht, dass du nicht zwei Funktionen in einem Token vereinen kannst. Utility und Investment müssen getrennt sein. Sonst funktioniert das rein ökonomisch nicht. Als Investor möchtest du, dass der Token an Wert gewinnt, als Nutzer möchtest du, dass der Preis des Tickets stabil bleibt.

Die Szene muss also noch reifen? Oder sind ICOs nur ein Hype, der eventuell wieder verschwindet?

Zoe Adamovicz:Die Szene ist schon sehr viel reifer geworden und auch die Regulatoren haben gute Arbeit geleistet. Die Europäische Union hat einen sehr klaren Standpunkt: Es gibt noch kein fixes Gesetz, aber sie unterstützt das Prinzip und will es nicht unnötig limitieren. Denn sie sieht das Potenzial. Wenn ich in der Geschichte zurückschaue, dann basiert wirtschaftlicher Fortschritt oft auf einem anfänglichen Hype. Plötzlich glaubte jeder an Elektrizität oder das Eisenbahnsystem in Europa: Irgendwann hatte jeder eine Firma mit Eisenbahn im Namen. Heute wollen Firmen Blockchain mit im Namen haben, weil dann die Gelder fließen. Im Prinzip ist ein ICO, als eine Art der öffentlichen Finanzierung von Innovationen, die von der Gemeinschaft getrieben wird, eine super Sache. Man stelle sich vor, das Eisenbahnsystem wäre von Anfang an reguliert worden. Andererseits geben Regeln dem System die Sicherheit, sich weiterzuentwickeln. In Malta zum Beispiel ist man da schon sehr weit. Malta ist das erste Land, in dem es tatsächlich schon ein eigenes Gesetz dazu gibt.

Was genau passiert?

Zoe Adamovicz: Was Malta versucht umzusetzen, ist faszinierend. Das ganze Land ist bereit dazu, auf die Blockchain aufzuspringen. Zum einen wird eine Universität gegründet, die das Erlernen neuer Technologien fördern soll. Zum anderen versuchen die Behörden, alle Aufzeichnungen auf die Blockchain zu migrieren. Du gehst dort auf die Post und jeder, mit dem du redest, versteht, was Blockchain ist. Es ist wirklich inspirierend, wie fortgeschritten die Technologie in Malta eingesetzt und wie bewusst damit umgegangen wird. Silvio Schembri, Minister für Finanzdienstleistungen, Digitale Wirtschaft in Malta ist ein ganz junger, toller Typ, der Blockchain und ICOs als riesengroßes Potenzial für sein Land sieht. Er meint, dass die Fläche von Malta selbst sehr klein sei und sie sich deshalb in den virtuellen Raum hinein entwickeln sollten. Schnell und furchtlos zu sein, das hat natürlich Vorteile. Nur eine Woche, nachdem die Regulierung in Malta angekündigt wurde, wird in Malta das größte Volumen an Krypto-Währungen gehandelt. Innerhalb weniger Wochen, ja sogar Tage, konnten die großen Krypto-Player ihren Gerichtsstand wechseln. Und da müssen alle anderen Regulatoren vorsichtig sein. Denn wenn sich erst mal alle Krypto-Börsen und große Geschäftsmodelle in Malta etabliert haben, ist es zu spät.

So funktioniert Neufund

Neufund ist eine Plattform, die die Schwelle zur Teilnahme an einer Finanzierungsrunde für alle Seiten erheblich senkt und eine Art Blockchain-basierte Schwarmfinanzierung ermöglicht. Grundlage dafür sind sogenannte Equity Token Offerings (ETO). Diese kombinieren als Hybrid-Modell die Vorteile von IPO, ICO und traditionellen Finanzierungsrunden. Auch innovative Startups, deren Technologie nicht auf der Blockchain beruht, können teilnehmen. Schlüsselkompetenz von Neufund ist es, die Abwicklung der Finanzierungsrunden legal und regulatorisch abzusichern und zu vereinfachen. Die Finanzierung kann sowohl in Krypto-Währung als auch in Euro abgewickelt werden. Dazu wurde ein auf der Ethereum-Blockchain basiertes, dezentralisiertes Fundraising-Ökosystem entwickelt, das auf Neufunds Protokoll-Token, der Neumark (NEU), basiert. NEU-Token werden an alle Teilnehmer des Ökosystems ausgegeben, die in ein ETO investieren. Neben den Anteilen an der Firma, in die investiert wurde, werden NEU-Inhaber gleichzeitig zu Mitinhabern der Plattform und profitieren damit von den Einnahmen, die darüber generiert werden. Finanziert hat sich Neufund über einen Initial Capital Building Mechanism (ICBM), der Investoren ermöglichte, sich NEU zu reservieren. Die so aufgebrachten 12,5 Millionen Euro werden nach und nach über ETOs in Firmen auf der Neufund-Plattform investiert. Die Investoren können selbst bestimmen, welche Firmen ihre NEUs finanzieren sollen. Neufund unterliegt der deutschen und europäischen Gesetzgebung. An Finanzierungsrunden können alle Unternehmer und Investoren unabhängig von ihrem Firmensitz teilnehmen. Aufgrund der regulatorischen Unsicherheiten sind die USA bisher ausgeschlossen.

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