„Gamification ist ein Vehikel, um Verhaltensforschung in Unternehmen zu bringen“
Mario Herger berät mit seiner Firma mit Enterprise Gamification unter Anderem zu gamifizierten Anwendungen.
Mario, Gamification scheint ein aktueller Trend zu sein. Wann kam das in Deutschland auf?
Mario Herger: Ich selbst bin 2010 bin ich auf dieses Thema gestoßen, da schwappte das gerade langsam aus den USA rüber. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff noch gar nicht bekannt. Wir haben versucht zu verstehen, was die verschiedenen Apps so „addictive“ macht. Das Wort Gamification ist mir das erste Mal begegnet, als ich nach Geschäftsanwendungen gesucht habe. Damals gab es gerade mal 400 Suchergebnisse zum Thema Gamification.
Ich habe dann angefangen, mich dazu schlau zu machen und festgestellt, dass das im Enterprise-Bereich noch sehr wenig angewendet wird. Mit meinem Blog war ich dann einer der ersten, die das Thema in Deutschland gepusht haben.
In welchen Bereichen kann Gamification angewendet werden?
Mario Herger: Es gibt jede Menge Bereiche: Letztlich ist Gamification nichts anderes als ein Mittel, um Verhalten zu beeinflussen. Menschen sollen dazu gebracht werden, mehr zu machen, schneller machen, mehr von sich bekannt geben. Und natürlich sollen sie dabei auch motivierter sein und mehr Spaß daran haben.
Auf meiner Website enterprise-gamification.com gib es ein Wiki, in dem ich 80 oder 90 Kategorien aufgelistet habe, wo Gamification angewendet werden kann. Einige sind sehr bekannt und sehr beliebt. Im Bereich Gesundheitswesen gibt es zum Beispiel sehr viel: FitBit, Nike+. Runtastic, Zombies Run… Runtastic ist ein Wiener Startup, das von Adidas gekauft wurde. Die verwenden viele Gamification-Elemente. Vor allem das soziale Element ist hier sehr stark. Du kannst deine Laufleistung mit der Community teilen. Nike+ ist im Gegensatz dazu sehr technisch, Zombies Run bringt eine Geschichte rein: Du wirst von Zombies verfolgt und musst verschiedene Dinge einsammeln und in dein Basislager zurückbringen, um zu überleben. Das sind drei verschiedene Gamification-Ansätze für das Thema Joggen.
Wie sieht es zum Beispiel im Bereich Lernen aus?
Mario Herger: Über 50 Prozent der Projekte sind im Education- und Trainingsbereich. Hier funktioniert das auch sehr gut. Ich glaube zu dem Thema habe ich allein 100 Beispiele auf der Website. Das beginnt bei Kindern: Vom Mathe lernen mit Dragon Box – Kinder lernen Algebra, indem sie Dracheneier ausbrüten müssen – bis zu Mitarbeitertraining, Compliance Training, Simulationen, Trainings für Piloten oder Ärzte, die einen spielerischen Zugang zu ihrem Thema kriegen. Gerade Compliance Training wollen Mitarbeiter oft nicht machen, weil sie da durch langweilige Gesetzestexte gehen müssen – es ist aber gesetzlich vorgeschrieben. Wenn du aber eine Geschichte draus machst, motiviert es die Leute viel stärker: Du bist zum Beispiel Miss Marple, die durch das Unternehmen geht und herausfinden muss, wer das Geld gestohlen hat. Um diesen Finanzkrimi zu lösen, musst du dir das Wissen aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Training aneignen. So haben Mitarbeiter nicht nur mehr Spaß an solchen Training, sie merken sich auch mehr.
Mario Herger: Aber es müssen nicht immer diese ganz großen Szenarien sein. Es können auch ganz kleine Elemente sein, zum Beispiel ein Smiley. Berater müssen beispielsweise ihre Zeiten eintragen, damit am Schluss Rechnungen erstellt werden können. Wenn das zu spät passiert, kann es Probleme mit der Rechnungsstellung geben. Eine Firma konnte das Problem lösen, indem jedes Mal ein Smiley angezeigt wurde, wenn der Berater die Zeiten pünktlich eingetragen hat. Mit jedem Tag, den der Berater zu spät war, wurde der Smiley ein bisschen trauriger. Plötzlich wurden nicht mehr nur 28 sondern über 90 Prozent der Zeiten pünktlich erfasst.
Das ist ja wirklich ein sehr kleines Element. Ist Gamification oft so versteckt?
Mario Herger: Es gibt etliche Menschen die sagen: Gamification funktioniert bei mir nicht. Die meisten sind aber auf gamifizierten Webseiten unterwegs: LinkedIn ist gamifiziert, Amazon ist gamifiziert. wenn du auf Amazon einkaufst, siehst du zum Beispiel „Nur noch drei Bücher auf Lager“, das ist Gamification. Das gibt es auch bei Hotel- und Flugbuchungswebsiten: 3 Leute sehen sich gerade dieses Zimmer an. Bei LinkedIn und Xing gibt es diesen Balken, der sagt, wie viel Prozent deines Profils du ausgefüllt hast. Ein Nutzer hat dann ganz schnell mehr von sich preisgegeben als er eigentlich wollte, weil diese Anzeige auf nur 30 Prozent stand.
Gamification muss ja nicht so unsichtbar sein. Gerade im Businessbereich kann ich mir vorstellen, dass offensichtliche Gamification bei Mitarbeitern eher auf ein müdes Lächeln stößt. In einem TedX Talk zum Thema erzählt Janaki Kumar zum Beispiel, dass in ihren Meetings immer nur der Mitarbeiter reden darf, der das Angry Bird Kuscheltier hat. Ich glaube, ich würde mir bei so etwas seltsam vorkommen.
Mario Herger: Das ist ein Fehlverständnis von Gamification. Wenn wir Gamification nutzen heißt das nicht, dass wir Spiele spielen. Amazon oder LinkedIn – hier erkennst du nicht, dass es Gamification ist. Solche Anwendungen müssen nicht mit dem Bling Bling eines Spiels daherkommen. Gamification-Designer stoßen die Leute nicht unbedingt mit der Nase drauf. Im Trainingsbereich hast du das schon mal, dass so etwas auch eher wie ein Spiel aussieht, aber sonst sollen die Leute am besten nicht mitbekommen, dass sie gamifiziert sind.
Janakis Beispiel funktioniert insofern, weil es zu Disziplin im Meeting führt. Was sie mit einem Angry Bird Plüschtier macht wird woanders mit der Freischaltung eines Mikrofons bewerkstelligt. Muss man sich entscheiden, welche Maßnahme beliebter ist, dann wird die Mehrheit das Plüschtier wählen.
Spiele kreieren eine Erfahrung, die du auch Arbeit brauchst und mit der Mitarbeiter ihr verstecktes Potenzial entfalten können. Wenn du in der Arbeit das gleiche Gefühl hast, das dir ein Spiel gibt, erzielst du bessere Leistungen. Dieses Gefühl entsteht durch verschiedene Grundelemente des Spiels: Du hast Regeln, du siehst deinen Fortschritt, du bekommst die nötigen Informationen, um Entscheidungen zu treffen, es gibt Transparenz.Die jungen Leute, die jetzt in die Unternehmen kommen – die Millenials – fordern das bereits. Sie wollen wissen, wie sie waren. Sie wollen verstehen, was sie gut und nicht gut gemacht haben, um besser zu werden.
Du meinst also, dass Gamification gerade in der Arbeitswelt nicht stört, sondern viel Potenzial freisetzt?
Mario Herger: Exakt. Ich sehe Gamification als Vehikel, um Verhaltensforschung und Motivationstheorien in die Unternehmen zu integrieren. Wir reden immer davon, das Humankapital, die Menschen seien das wichtigste Kapital von Unternehmern. Doch viele wissen nicht, wie man die Leute motiviert und richtig führt. Die Methoden, die viele seit Jahrzehnten anwenden, sind falsch. Wenn man sich die Forschung anschaut, ist genau das Gegenteil richtig. Spieledesigner verstehen es viel besser, Leute zu motivieren an einem Spiel dranzubleiben. Und hier kommt Gamification ins Spiel.
Für mich ist Gamification ein Vehikel, das sich mit Verhaltensforschung, Motivationstheorien und Behavioral Economics auseinandersetzt und das als Kernkompetenz eines Managements versteht.
Wie funktioniert dieses Vehikel?
Mario Herger: Eines der größten Probleme in der Arbeitswelt ist das der Motivation: Wie motiviert man seine Mitarbeiter? Man glaubt, indem man ihnen Geld gibt oder eine Karotte vor die Nase hängt, machen sie die Arbeit besser. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sobald der Anreiz wieder weg ist, machen sie die Arbeit schlechter.
Stell dir vor, du schreibst deine Diplomarbeit, musst 100 Seiten abgeben und bekommst 500 Euro dafür. Dann wirst du exakt 100 Seiten schreiben. Wenn du aber ein Thema hast, das dich persönlich interessiert und intrinsisch motiviert, dann wirst du vielleicht 20 Seiten mehr schreiben und das Thema noch besser ausarbeiten. Oder stell dir vor, du willst einen 8-Jährigen zum Lesen motivieren. Du sagst ihm für jedes Buch das er liest, bekommt er einen Panini-Sticker. Welche Bücher wird er sich aussuchen? Natürlich die dünnsten und einfachsten. Und wenn du ihm dann keine Klebebildchen mehr gibst, hört er wieder auf zu lesen. Du hast genau das Gegenteil erreicht.
In Unternehmen glauben viele aber, dass das die Art ist, wie Leute motiviert werden. Das ist in der Wissenschaft eigentlich schon lange widerlegt, aber im Businessbereich ist das noch nicht angekommen.
Es gibt Ansätze, die darauf setzen, dass Mitarbeiter sehr stark gegeneinander antreten. Ist das sinnvoll?
Mario Herger: Die Leute glauben immer, Wettbewerb ist super. Das ist aber ein völlig falsches Verständnis. Das bedeutet nur unglaublichen Stress für alle Mitarbeiter. In Deutschland kriegst du das zum Beispiel auch nicht durch. Ranglisten und Wettbewerbe anhand von Leistung werden vom Betriebsrat sehr kritisch betrachtet.
Ich spreche in meinen Workshops und Vorträgen immer gegen Wettbewerbe. Wir gründen Unternehmen, weil wir zusammen mehr erreichen können als alleine. Kollaboration ist der eigentlich Grund, warum es Unternehmen gibt.
Wenn ich Mitarbeiter gegeneinander antreten lassen, dann werden sie sich nicht mehr gegenseitig helfen – sonst laufen sie Gefahr, dass der andere sie überholt. Das hat furchtbare Auswirkungen. Frauen sind tendenziell zum Beispiel auch nicht so wettbewerbsorientiert wie Männer. Das heißt damit werden Frauen systematisch diskriminiert. Wir würden den Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern noch verstärken.
Welche Spielelemente könnten Unternehmen in Zukunft noch weiter voranbringen?
Mario Herger: Geschichten könnten auf jeden Fall mehr eingesetzt werden und haben einen enormen Impact. Heute klatscht man oft nur kurz ein paar Punkte irgendwo drauf, aber es gibt keine größere Geschichte drumherum, die sagt, was das eigentlich bedeutet. Wir haben da noch einen weiten Weg vor uns.
Das Gespräch führte Anna-Lena Kümpel.