Polen hebt sich klar von der Konkurrenz ab: Es gibt strenge Qualitätskontrollen, hoch qualifizierte Entwickler und einen schnell wachsenden Arbeitskräftepool. 25 Prozent der Entwickler in CEE-Länder kommen aus Polen. Zum Vergleich: In der Ukraine oder Rumänien, Ländern mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl, sind nur 160.000 bzw. 110.000 Programmierer zu Hause.
In Europa haben auch nur wenige Standorte mehr Softwareentwickler als Warschau (75.000), das auf siebter Stelle liegt, nach London, Paris, Madrid, Berlin, Amsterdam und München. Bei nur 8.000 vorhandenen Startups in Polen, im Vergleich zu 36.000 in Silicon Valley, suchen viele polnische IT-Fachkräfte nach Aufträgen im europäischen Ausland. Insgesamt ist die polnischen IT-Industrie daher sehr westlich geprägt, wobei die allgemeine Arbeitssprache Englisch ist.
Beispiel: Code Addict
Code Addict, ein amerikanisch-polnisches Softwareunternehmen, das sich auf End-to-End-Mobile- und Web-Entwicklung spezialisiert ist, hat diesen Trend erkannt und bedient seine deutschen Kunden vom Standort Polen aus. Code Addict hat seinen Softwareentwicklungsprozess auf die Bedürfnisse deutscher Kunden ausgerichtet, und bedient diese problemlos aus Polen.
Michael Bennett, Leiter der Abteilung für internationale Geschäftsentwicklung, sagt: „Die Attraktivität von polnischen Softwarehäusern bei deutschen Unternehmen liegt nicht alleine am Preis, sondern an den hohen Code-Standards, exzellenten Leistungen und qualitativer Arbeit, die inländischen Lösungen gleichen oder sie sogar übertreffen.“
Polnische Programmierer genießen sowohl in Deutschland als auch weltweit einen hervorragenden Ruf. Grund ist die hohe Qualität der Ausbildung an polnischen technischen Universitäten, angeführt von der TU in Warschau. Polnische Programmierer belegten den 5. Platz beim TopCoder Ranking vor den USA und Großbritannien, sowie den 3. Platz beim HackerRank Challenge nach China und USA.
Laut dem Digitalverband Bitkom hat der Fachkräftemangel in der IT einen neuen Höchststand erreicht. Schätzungen zufolge fehlen in Deutschland mehr als 80.000 Programmierer, was bedeutet dass bei vier von fünf Unternehmen ein Mangel an IT-Spezialisten herrscht. Damit stellt sich die Frage in welche Richtung sich der deutsche IT- Markt entwickeln wird. Wird es ein Ausbau von IT-Bildungsprogrammen geben oder werden deutsche Unternehmen an ausländische Fachkräfte gebunden sein?
Hat Deutschland die Digitalisierung verschlafen?
Es scheint als hätte Deutschland die Digitalisierung verschlafen und der Osten fleißig dazugelernt. Die Europäische Kommission schätzt, dass in Europa bis 2020 insgesamt über 900.000 qualifizierte IT-Fachkräfte fehlen werden.
Polnische Softwarehäuser wie Code Addict sehen große Chancen auf dem deutschen Markt, doch wie sehen die Chancen für polnische IT Fachkräfte aus? Grzegorz Morawski, verantwortlich für die internationale Expansion bei „Coders Lab IT School“, Polens bekanntester IT Berufsschule, hat Bedenken. Er ist der Meinung, dass viele deutsche Unternehmen sich bei der Einstellung von IT Fachkräften nur auf den Inlandsmarkt beschränken und selten den Mangel mit Experten aus dem Ausland füllen.
Einerseits sieht er im Fachkräftemangel ein hohes Risiko für das Wachstum der deutschen Wirtschaft, andererseits eine Chance für Coders Lab mit ihren zweimonatigen Programmen auf dem deutschen Markt zu wachsen. Für polnische IT-Ingenieure ist der deutsche Arbeitsmarkt finanziell sehr interessant, dort können sie mehr als doppelt so viel verdienen.
Daten des statistischen Zentralamtes in Polen zeigen, dass das durchschnittliche Gehalt von IT- und Telekommunikationsspezialisten seit 2013 um durchschnittlich 2 bis 7 Prozent pro Jahr gestiegen ist und bei 24.000 US-Dollar pro Jahr liegt. Polnische IT-Gehälter sind fast 1,8-mal höher als das polnische Durchschnittsgehalt, aber noch immer deutlich niedriger als im Silicon Valley (92.000 USD pro Jahr) in Berlin (59.000 USD pro Jahr) oder London (54.000 USD pro Jahr).
Die Rolle von Tech-Talent bei der VC-Finanzierung
Nach Ansicht von Sebastian Golinski, CEO von Code Addict, hat Polen keinen IT-Fachkräftemangel. Er schwärmt von einer Fülle junger, ausgebildeter IT-Fachkräfte, die hungrig auf neue Technologien sind. In Posen zum Beispiel absolvieren jedes Jahr tausende Informatikingenieure ihr Studium, und die Stadt verfügt auch über eine große Community von Senior-Entwicklern. Dank einer stabilen Lage haben polnische Softwarehäuser eine größere Auswahl und Flexibilität bei der Anwerbung und Bindung von Entwicklern als Unternehmen im Ausland.
Auch bei der VC-Finanzierung spielt Tech Talent eine wichtige Rolle. Bei ihren Investitionsentscheidungen überprüfen Fond Managers die technischen Qualitäten der IT Teams, zusätzlich ist aber auch die Bindung der IT-Teams an die Startups wichtig. Tomasz Swieboda, Managing Partner von Inovo Venture Partners, kommentiert, dass die Qualität der Informatiker natürlich die Grundlage bei einem Tech Unternehmen ist. Genauso wichtig sei es aber zu wissen, wie diese ans Unternehmen gebunden und bei der Arbeit motivieren werden können.
Auch Grzegorz Morawski, von der Coders Lab IT School betont, dass es zwar wichtig sei Spezialisten zu gewinnen. Diese würden aber nicht bleiben, wenn man ihnen keine interessanten Projekte liefern und sie ans Unternehmen binden können. Und Einstellungsprozesse und hohe Fluktuationsraten kosten eine Menge Zeit und Geld.